Unterstützungswohnsitz Minderjähriger


Erläuterungen

1. Das mit beiden Elternteilen zusammenlebende Kind
Das mit beiden Elternteilen zusammenlebende und unter elterlicher Sorge stehende Kind teilt gestützt auf Art. 7 Abs. 1 ZUG den Unterstützungswohnsitz seiner Eltern. Das gilt auch dann, wenn es sich vorübergehend nicht bei den Eltern aufhält (vgl. nachfolgende Ziffer 3).

Man spricht in diesen Fällen vom unselbständigen Unterstützungswohnsitz des Kindes. Die Abhängigkeit vom elterlichen Wohnsitz ist nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich zu verstehen. Über einen unselbständigen Wohnsitz verfügende minderjährige Kinder übernehmen nicht nur den Ort, sondern auch die Wohnsitzdauer von den Eltern.

2. Der Unterstützungswohnsitz des nur mit einem Elternteil zusammenlebenden Kindes
Seit Inkrafttreten des revidierten Kindesunterhaltsrechts und der damit verbundenen Revision von Art. 7 ZUG am 1. Januar 2017 gilt bei der Bestimmung des Unterstützungswohnsitzes Folgendes:

  • Haben die Eltern keinen gemeinsamen zivilrechtlichen Wohnsitz, so hat das minderjährige Kind einen nach Art. 7 Abs. 2 ZUG eigenständigen Unterstützungswohnsitz am Wohnsitz des Elternteils, bei dem es wohnt.
  • Teilen die Eltern die Obhut über das Kind, befindet sich sein Unterstützungswohnsitz dort, wo es sich mehrheitlich aufhält. Indizien sind in diesen Fällen die Meldeadresse des Kindes, sein Schulort, das Zentrum seiner Freizeitgestaltung etc.

3. Der eigene Wohnsitz in den übrigen Fällen
Abgesehen vom eigenen Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 2 ZUG kennt das ZUG vier (weitere) Fälle, in denen minderjährige Kinder einen eigenen Unterstützungswohnsitz haben.

Der Unterstützungswohnsitz bevormundeter Kinder
Ist das Kind bevormundet, befindet sich sein Unterstützungswohnsitz am Sitz der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), unter deren Vormundschaft es steht (Art. 7 Abs. 3 lit. a ZUG). Im Kanton Luzern ist die KESB eine kantonal organisiere und regional aufgeteilte Behörde, die ihren Sitz in einer Gemeinde ihres aus mehreren politischen Gemeinden zusammengesetzten Zuständigkeitsgebiets hat. Für bevormundete Kinder (Art. 25 Abs. 2 ZGB) gilt jedoch als Sitz der KESB die Gemeinde, in welcher das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat (§ 56 EGZGB). Sie haben somit in der Gemeinde, in welcher sich ihr Lebensmittelpunkt befindet, einen eigenen Unterstützungswohnsitz. Wird die Vormundschaft an einen anderen Ort zur Weiterführung übertragen, geht auch der Unterstützungswohnsitz des Kindes an den neuen Ort über. Der Unterstützungswohnsitz am Sitz der KESB wird nur im Falle einer eigentlichen Bevormundung begründet. Andere Kindesschutzmassnahmen wie z.B. eine Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts (Art. 310 ZGB) bewirken nicht die Begründung eines Unterstützungswohnsitzes am Sitz jener KESB.

Der Unterstützungswohnsitz wirtschaftlich selbständiger Kinder
Das Kind, das erwerbstätig und in der Lage ist, für seinen Lebensunterhalt selber aufzukom­men, gilt unterstützungswohnsitzrechtlich als erwachsen. Es hat einen eigenen Unterstützungswohnsitz an dem Ort, an dem es sich mit der Absicht des dauernden Verbleibens aufhält (Art. 4 ZUG). Ein Kind erfüllt diese Voraussetzungen, wenn es wirtschaftlich selbständig und höchstens für ausserordentliche Auslagen (z.B. Wohnungseinrichtung) auf die Hilfe der Eltern angewiesen ist. Das gilt auch für bevormundete Kinder: Sind sie wirtschaftlich selbständig im Sinne von Art. 7 Abs. 3 lit. b ZUG, geht dieser Unterstützungswohnsitz demjenigen von Art. 7 Abs. 3 lit. a ZUG vor.

Nicht als erwerbstätig gelten Auszubildende, selbst wenn sie ihren Lebensunterhalt mit ihrem Lehrlingslohn finanzieren könnten. Dies, weil die Lehre der Ausbildung und nicht dem Erwerb des Lebensunterhalts dient. Ebenso wenig gelten Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung, die in einer geschützten Werkstatt arbeiten und sich mit ihrem Lohn und allfälligen Sozialversicherungsleistungen grundsätzlich selber finanzieren können, als erwerbstätig, wenn die Werkstätte nur dank den Betriebsbeiträgen, die sie erhält, einen ausreichenden Lohn ausrichten kann und dieser nicht den beschränkten Arbeitsleistungen der Kinder mit einer Behinderung entspricht.

Der Unterstützungswohnsitz von dauernd nicht mit den Eltern zusammenlebenden Kindern
Minderjährige, unter elterlicher Sorge stehende und wirtschaftlich nicht selbständige Kinder haben einen eigenen Unterstützungswohnsitz am Ort, wo sie zuletzt mit den Eltern oder einem Elternteil zusammengelebt haben (vgl. vorstehend Ziffern 1 und 2), wenn sie dauernd nicht bei diesen bzw. diesem leben (Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG). Auch ein eigener Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 2 ZUG wird durch den eigenen Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG abgelöst, wenn das Kind auf Dauer ausserhäuslich untergebracht ist.

Erfasst werden sowohl freiwillige als auch behördliche Platzierungen; eine Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist nicht Voraussetzung für die Begründung eines eigenen Unterstützungswohnsitzes nach Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG. Entscheidend für die Anwendung dieser Bestimmung ist die Frage, ob der Fremdaufenthalt des Kindes von Dauer oder bloss vorübergehender Natur ist:

Vorübergehend nicht bei den Eltern lebt ein Kind beispielsweise, wenn

  • es die Ferien bei Dritten verbringt
  • es sich im Spital oder in einer Kur befindet
  • ein Elternteil krank ist und das Kind deshalb nicht zuhause betreut werden kann (soweit es sich dabei nicht um einen dauerhaften Zustand handelt)
  • therapeutische oder der Abklärung dienende Massnahmen notwendig sind oder
  • es eine auswärtige Schul- oder Berufsbildung absolviert. Besucht das Kind z.B. ein Wocheninternat und kehrt es regelmässig an den Wochenenden und in den Ferien zu den Eltern zurück, ist lediglich von einem vorübergehenden Fremdaufenthalt des Kindes auszugehen.

In solchen Fällen richtet sich der Unterstützungswohnsitz des Kindes nach Art. 7 Abs. 1 oder 2 ZUG.

Eine dauernde Fremdplatzierung liegt insbesondere dann vor, wenn ein Kind wegen persönlichen, schulischen und/oder familiären Problemen einer speziellen Betreuung bedarf, die bei einem Verbleib bei den Eltern bzw. dem Elternteil nicht sichergestellt werden kann. Ein zentraler Zweck von Art 7 Abs. 3 lit. c ZUG ist die Schaffung einer klaren Regelung für jene Fälle, in denen die Eltern den Wohnort nach der dauernden Fremdplatzierung des minderjährigen Kindes wechseln. Würde in solchen Fällen der jeweilige Aufenthaltsort des Kindes als Unterstützungswohnsitz angenommen, so käme es sicherlich zu Streitigkeiten um die Zuständigkeit. Ausserdem liegt es im Interesse des Kindes, ihm rasch und eindeutig einen Unterstützungswohnsitz zuweisen zu können. Wie bei Erwachsenen gilt es überdies die Standortgemeinden von sozialpädagogischen Einrichtungen, Pflegefamilien etc. zu schützen. Die Notwendigkeit einer raschen und eindeutigen Festlegung der Unterstützungszuständigkeit ergibt sich aber nicht nur bei Kindern, die wegen einer Gefährdungssituation mittels einer behördlichen Intervention aus der Familie genommen werden müssen, sondern bei allen Kindern, die - aus welchen Gründen auch immer - dauernd nicht mit den Eltern bzw. dem Elternteil zusammenleben.

Erfolgt eine Fremdplatzierung auf unbestimmte Zeit oder für mehr als sechs Monate, so kann in der Regel von ihrer Dauerhaftigkeit ausgegangen werden. Indizien für die Art der Fremdplatzierung ergeben sich auch aus dem Zweck des Aufenthaltes. Therapeutische oder der Abklärung dienende Massnahmen, bei welchen es nicht um die Suche nach einer geeigneten Anschlussinstitution geht, sprechen gegen, Massnahmen zum Schutz des Kindes sprechen für eine dauernde Fremdplatzierung.

Bei einem Kind, das direkt nach der Geburt zur Adoption freigegeben wird, ist zwischen der Geburt und der Errichtung der Vormundschaft durch die KESB von einem von der Mutter abgeleiteten Unterstützungswohnsitz auszugehen. Der Unterstützungswohnsitz des Kindes leitet sich - unabhängig von seinem Aufenthaltsort - von jenem der (sorgeberechtigten) Mutter ab (Art. 7 Abs. 1 ZUG). Im Zeitpunkt der Geburt befindet sich sein Wohnsitz also am Unterstützungswohnsitz der Mutter, auch wenn es nach der Geburt nicht mit der Mutter nach Hause kehrt. Wird es gleich nach der Geburt dauernd fremdplatziert, behält es gemäss Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG seinen nach Art. 7 Abs. 1 ZUG begründeten Unterstützungswohnsitz. Dieser wechselt erst, wenn die KESB die Vormundschaft über das Kind errichtet hat. Dann bestimmt sich sein Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 3 lit. a ZUG. Anders sieht die Sache bei einer anonymen Geburt aus. In diesen Fällen wird die Identität der Mutter unter Verschluss gehalten und es besteht daher in der Regel kein Anknüpfungspunkt an den Unterstützungswohnsitz der Mutter. In solchen Fällen befindet sich der Wohnsitz des Kindes bis zur Errichtung der Vormundschaft an seinem Aufenthaltsort.

Ein gestützt auf Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG  begründeter Unterstützungswohnsitz bleibt während der ganzen Dauer der Trennung von den Eltern bzw. dem (im innerkantonalen Bereich sorgeberechtigten) Elternteil bestehen, unabhängig von allfälligen späteren Wohnortswechseln der Eltern bzw. des betreffenden Elternteils oder von Umplatzierungen des Kindes, die ohne massgebliche Unterbrechung erfolgen. Steht fest, dass das Kind auf Dauer fremdplatziert werden soll, bestimmt sich sein Unterstützungswohnsitz auch dann nach Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG, wenn es zunächst bloss für eine begrenzte Zeit an einem bestimmten Ort untergebracht wird und anschliessend eine Umplatzierung erfolgt. Denn gerade in Situationen, die ein schnelles Handeln erfordern, bleibt oft nicht genügend Zeit, um die für das Kind am besten geeignete Unterbringungsform zu finden und es von Anfang an dort zu platzieren.

Auffangtatbestand - der Unterstützungswohnsitz am Aufenthaltsort
In den übrigen Fällen hat das Kind einen eigenen Unterstützungswohnsitz an seinem Aufenthaltsort (Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG). Bei dieser Bestimmung handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der nur subsidiär zur Anwendung gelangt. Damit wird sichergestellt, dass in allen Fällen ein Unterstützungswohnsitz des minderjährigen Kindes festgelegt werden kann. Am Aufenthaltsort hat ein Kind z.B. seinen Unterstützungswohnsitz, wenn die im Ausland lebenden Schweizer Eltern ihr Kind bei Verwandten in der Schweiz unterbringen oder wenn der Aufenthaltsort des über die alleinige elterliche Sorge verfügenden oder des verwitweten Elternteils unbekannt ist.

4. Unterstützungswohnsitz bei Eintritt der Volljährigkeit
Nach Eintritt der Volljährigkeit bestimmt sich der Unterstützungswohnsitz des Kindes grundsätzlich nicht mehr nach Art. 7 ZUG. Vielmehr bestimmt sich der Wohnsitz des volljährig gewordenen Kindes nach den Bestimmungen für die Erwachsenen (Art. 4 und 5 ZUG). Dies bedeutet aber nicht, dass der während der Minderjährigkeit nach Art. 7 ZUG bzw. bestimmte Unterstützungswohnsitz mit dem Eintritt der Volljährigkeit automatisch und in jedem Fall dahin fällt. Lebte eine bis anhin minderjährige Person dauernd von den Eltern getrennt und dauert der (freiwillige oder unfreiwillige) Aufenthalt in einem Heim auch bei Eintritt der Volljährigkeit weiter an, kann Art. 4 Abs. 1 ZUG keine Anwendung finden. In diesem Fall ist nämlich gemäss Art. 5 ZUG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 ZUG sowohl eine Wohnsitzbegründung am Ort des Heimes wie auch eine Beendigung des bisherigen Unterstützungswohnsitzes ausgeschlossen. Vielmehr dauert der Wohnsitz im Sinne von Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG bis zum Austritt aus dem Heim weiter an (so genannter perpetuierter Wohnsitz). Dies gilt auch in Fällen, in denen ein Kind durch behördliche Veranlassung in einer Pflegefamilie untergebracht wurde, wobei es unerheblich ist, ob die Versorgung förmlich verfügt oder bloss faktisch veranlasst wurde.

Einzig in den Fällen, in denen das volljährig gewordene Kind freiwillig in Familienpflege bleibt, keine Notwendigkeit für eine weitere Betreuung besteht, der weitere Verbleib bei den Pflegeeltern nicht auf einem Sonderzweck (wie beispielsweise die Beendigung einer Lehre) beruht und die Absicht des dauernden Verbleibens vorhanden ist, kann an diesem Ort ein Unterstützungswohnsitz nach Art. 4 Abs. 1 ZUG begründet werden.